Internationalisierung findet selten durch vorausgehende, gezielte Marktforschung statt. In welche Länder Online-Händler expandieren, hängt oft von den Gegebenheiten im Unternehmen ab.

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Internationalisierung und damit einhergehend die Kriterien in mittelständischen Online-Shops, die einem solchen Workflow zugrunde gelegt werden, lassen professionelle Berater schon mal die Haare zu Berge stehen. „So doof das auch klingt, wir sind nach Mitarbeiter-Skills gegangen“, erinnert sich Tim Keding, Gründer des Online-Versenders Shoepassion.com, bei einer Diskussionsrunde zum Thema „Internationalisierung“ auf dem Pixi-User-Treffen 2015 an die Anfänge seiner Expansionsstrategie.
Demnach hat es sich eher zufällig ergeben, dass der Versender rahmengenähter Lederschuhe heute eigene Länder-Shops für Österreich, die Schweiz, Polen, Frankreich und England betreibt. Weil bei Shoepassion ein Pole im Marketing arbeitete, war es für das Unternehmen naheliegend, als Erstes die Internationalisierung in Richtung Polen zu unternehmen. Der entsprechende Mitarbeiter lokalisiert Adwords-Kampagnen, übersetzt Shop-Texte und geht ans Servicetelefon, wenn ein polnischer Kunde anruft.
Internationalisierung: Mitarbeiter bestimmen das nächste Zielland
Das Berliner Start-up-Unternehmen ist beileibe kein Einzelfall. Auch der Hersteller von Handyzubehör, Subtel, verfuhr ähnlich: „Wir machten Stellenausschreibungen mit mehreren Sprachpaaren wie Deutsch-Niederländisch oder Deutsch-Französisch. Und das Land mit der Sprache, die der erste passende Bewerber sprach, wurde dann angegangen. Das war 2008“, berichtet Mitgründer Christopher Stein.
Mit seinem Sortiment von 5.000 Akkus und Ladegeräten ist Subtel inzwischen in sieben Ländern international präsent, darunter Finnland, die Niederlande, Italien, Spanien, Belgien, Polen, die Schweiz und Frankreich. Erfolglos ist Subtel mit der Anwendung des Prinzips Zufall bei der Internationalisierung nicht: 70 Prozent des Gesamtumsatzes werden laut Stein inzwischen im Ausland generiert.
Doch es kann auch anders laufen. So klopfen bei dem Cross-Border-Spezialisten für E-Commerce Henning Heesen von Salesupply regelmäßig Webhändler an, die eine Internationalisierung ihres Unternehmens aus eigener Kraft nicht geschafft haben. „Dann stellt sich oft heraus, dass die den französischen Markt mit einer oder einer halben Person beackern, während der Wettbewerb vor Ort 50 Leute hat“, schildert Heesen seinen Joballtag.
Internationalisierung: Kleine Länder bieten oft bessere Chancen
Dass ein Mitarbeiter Französisch spricht oder Frankreich 60 Millionen Einwohner hat, ist für Heesen zunächst sowieso kein Kriterium für oder gegen die Expansion in einen neuen Markt. Stattdessen sollten Händler recherchieren, ob sie international zu guten Preisen verkaufen können und die Marketingkosten überschaubar sind.
Statt nur auf große Länder wie Frankreich oder England bei einer geplanten Internationalisierung zu schielen, empfiehlt Heesen, auch kleineren Ländern eine Chance zu geben: „Wenn Sie nach UK gehen, kommen Sie mit Investitionskosten unter 200.000 bis 300.000 Euro nicht weg. In Dänemark reichen 50.000 bis 100.000 Euro – und sie können zu höheren Preisen verkaufen“, weiß der Profi.
Wer genauer planen möchte, kann diverse Recherche-Tools im Web nutzen. So lassen sich beispielsweise über den Google Adwords Keyword-Planer Cost-per-Clicks der eigenen Keywords in anderen Ländern recherchieren. Salesupply bietet ein Tool an, das nach Eingabe von EAN-Codes das Preisniveau der Produkte in den Zielländern auf Marktplätzen und in Online-Shops analysiert.
Liegen die Verkaufspreise in einem Zielland dann 20 Prozent unter denen in Deutschland und die Keyword-Preise zehn Prozent darüber, genügt ein Native Speaker im Unternehmen nicht, um erfolgreich in das Land expandieren zu können.
Shoepassion und Subtel hatten Glück bei der Internationalisierung ihres Shops. Die Produkte sind im Ausland gefragt, das Bestellvolumen wächst. Und das, obwohl beide Unternehmen in den Zielländern keine eigenen Niederlassungen betreiben. „In unserer Größenordnung ist man froh, wenn man einmal Spezialisten gefunden hat, die die Komplexität der Online-Marketing-Klaviatur beherrschen. Anschließend holt man einfach einen Native Speaker dazu, der die Dinge unterstützt“, sagt Keding.
Das beste Beispiel dafür, dass es auch ohne Niederlassungen geht, ist für Keding Zalando: „Die wurden in Frankreich aus Berlin heraus der größte Online-Shop, obwohl es dort vorher schon große Geschäftsmodelle gab, die genau das Gleiche machen wie Zalando“, so der Shoepassion-Gründer.
Internationalisierung: An der Logistik wird überall noch gefeilt
Christopher Stein von Subtel geht das Thema Internationalisierung ohnehin sehr pragmatisch an: „Wir haben die Prozesse drauf, innerhalb von zwei Wochen den Shop aufzusetzen, zu übersetzen und das Ganze dann bei Adwords hochzuladen. Wenn uns das letztendlich 3.000 Orders im Monat bringt, fangen wir nicht an, ein Mindmapping zu entwickeln“, sagt er.
In Sachen Logistik sehen Subtel und Shoepassion beide noch Optimierungspotenzial. Der Schuhversender verschickt über DHL und UPS von Berlin aus, Subtel betreibt zurzeit noch ein eigenes Lager in Frankreich. „Subtels geringer Warenkorbwert erfordert effiziente und kostengünstige Versandlösungen. Deshalb haben wir für alle wichtigen Versandländer individuelle- und multimodale Versandlösungen“, sagt Stein.
So reduziert Subtel beispielsweise Kosten dadurch, dass Bestellungen postfertig gebündelt in ein Land eingespeist werden. Darüber hinaus können sich andere kleine Versender aus Berlin an den Importen beteiligen. Die Partner profitieren von einem Versandkostenvorteil, Subtel subventioniert seine Logistikkosten.
Dass die internationale Kundschaft geduldiger auf die Pakete wartet als der von Zalando und Amazon verwöhnte deutsche, können Keding und Stein nicht bestätigen. „Die Erwartungshaltung steigt in jedem Land mit der Professionalisierung“, sagt Keding.
Christopher Stein stimmt zu: „In den fünf größten europäischen Ländern ist Amazon präsent und setzt Standards. Wenn man sich jetzt nicht vorbereitet, ist man später entweder zu spät oder muss enorm viel und schnell investieren.“
Basierend auf ihren Erfahrungen raten Keding und Stein unisono anderen Händlern, den Schritt in Richtung Internationalisierung beherzt anzugehen, statt lange zu überlegen. „Wir sind im E-Commerce weiter entwickelt als viele andere Länder“, sagt Keding.
„Die Chance sollten wir jetzt nutzen, statt zu warten, bis beispielsweise die Italiener mitziehen oder gar zu uns nach Deutschland kommen. Spätestens dann internationalisiert jeder“, so das Resümee von Keding. Dann komme es zum Internationalisierungskampf, der finde dann aber „bei uns zu Hause statt“.
Internationalisierung klingt immer aufregend. Egal ob die Expansion ins Ausland un- und/oder konventionell vorangetrieben wird, gibt es Fehler die bei der Planung vermieden werden können.